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Der gewaltlose Widerstand1) der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er und -60er Jahren, den Martin Luther King anführte, verlangte den Teilnehmern der Aktionen sehr viel Mut und Bereitschaft, Leid zu ertragen, ab. Aber gerade durch die Gewaltlosigkeit trotz brutalen rassistischen Terrors waren die Forderungen einer Beendigung der Diskriminierung so überzeugend, dass sie auf der ganzen Welt Sympathie fanden und Martin Luther King 1964 den Friedensnobelpreis erhielt. Diese Bewegung, die auf den Appell an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und demokratische Grundwerte setzte, wurde jedoch in Gewalt erstickt: „1963 die Ermordung von John F. Kennedy, den viele Schwarze inzwischen als ihren Freund angesehen hatten. Dann 1965 der Mord an Malcolm X und das von vielen Schwarzen geteilte Gefühl, dass die Verfolgung der Attentäter keineswegs mit Nachdruck betrieben wurde. Mitte der 60er Jahre die Morde an zahlreichen Bürgerrechtlern und an unschuldigen Kindern – Verbrechen, für die niemand verurteilt oder ernsthaft verfolgt wurde. Schließlich wurde am 4.4.1968 Martin Luther King Jr. […] erschossen […]. Für viele Afroamerikaner symbolisierte dieser Akt der Gewalt die Ablehnung ihres machtvollen, aber friedlichen Kampfes für die Gleichheit durch das weiße Amerika.“2)
Martin Luther King hatte befürchtet, dass ein Abgehen von der Gewaltlosigkeit des Widerstandes einen Rechtsruck der USA bewirken und damit die bisherigen Bemühungen untergraben könnte3) – zu Recht, wie die Entwicklung nach seinem Tod zeigte:
„Die Nachricht von Kings Ermordung löste eine Welle der Verzweiflung und der Gewalt in den Gettos aus. […] 41 Schwarze und 5 Weiße wurden getötet […]. 1969 kam es zu weiteren Aufständen und es hatte den Anschein, als wäre mit dem Tod Martin Luther Kings auch der friedvolle Protest zu Grabe getragen worden.“4) Für viele junge Afro-Amerikaner hatte sich Kings Taktik, rassistisches Unrecht anzuprangern und demonstrativ zu erdulden, als wirkungslos und als Fortsetzung der Sklavenmentalität erwiesen.5) Eine Befreiung aus dieser demütigen Rolle demonstrierten Aktivisten mit einem Aufruf zu Black Power und die Black Panther Party bewaffnete sich zum Schutz der afro-amerikanischen Gemeinschaft6). Ihre Gewaltbereitschaft bot der Polizei und dem Geheimdienst, denen der afro-amerikanische Protest längst ein Dorn im Auge war, jedoch die Gelegenheit, gegen die Widerstandsbewegung mit ganzer Härte vorzugehen und sie auszuschalten.7) Sich als ungeliebte Minderheit auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit einem solch übermächtigen Gegner einzulassen, war wohl noch wesentlich weniger erfolgversprechend als Martin Luther Kings friedfertiger Appell an das Gewissen der „weißen“ Mehrheit. Doch verhieß das geduldige Ertragen lebensbedrohlicher Gewalt eben keinen Ausweg mehr aus der verzweifelten Lage und sich zu wehren erschien als einzig mögliche Antwort, zumal die Bürgerrechtsbewegung keine unmittelbare Verbesserung der wirtschaftlichen Notlage vieler Afro-Amerikaner erreichte.8) Ihre Erfolge bestanden in der Erkämpfung und Durchsetzung von Rechten, die erst später und nur für einen Teil der Afro-Amerikaner zu wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen führten.
Die gewaltsame Atmosphäre verschreckte viele Amerikaner, die von der „Rassenfrage“ zwar selbst nicht unmittelbar betroffen waren, jedoch die empörende und international beschämende Diskriminierung der afro-amerikanischen Minderheit in ihrem Land beseitigt haben wollten. Für randalierende Ghettobewohner und bewaffnete Revolutionäre hatten sie wenig Verständnis und ihr steigendes Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung kam bei den Wahlen den konservativen Kräften zugute.9) Damit erhielten gerade jene politischen Interessensvertreter Zuspruch, die die diskriminierenden Verhältnisse und damit die Ursache der Unruhen zu bewahren trachteten. Ein weiteres Motiv für mangelnde Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung durch die Mehrheitsbevölkerung war die eigene Bedrohung von sozialem Abstieg: In den 1970er Jahren führte ein allgemeiner wirtschaftlicher Abschwung zu „massiver Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen. Abstiegsangst und ein sinkender Lebensstandard waren die Folge. […] Indem sie an den Rassismus der weißen Arbeiterklasse appellierten, konnten Konservative diese politisch mobilisieren und instrumentalisieren […]. Weiße Arbeiter erlebten ihre eigene ökonomische Unsicherheit und schlossen daraus, dass diese das Resultat der Statusverbesserungen der afro-amerikanischen Minderheit sein müsse.“10) Unter anderem mit dieser Taktik und dem Versprechen von Steuersenkungen gewann Ronald Reagan den Wahlkampf um das Präsidentenamt im Jahre 198011) und er leitete daraufhin jenen neoliberalen Prozess ein, der die Wirtschafts- und Sozialpolitik der USA zu beherrschen begann12) und die amerikanische Gesellschaft durch eine zunehmende Kluft zwischen Reichen und Armen tiefgreifend veränderte. Der Mittelstand, der sich in den 1930er und 1940er Jahren unter der Präsidentschaft von Franklin Roosevelt aufgrund der Reformen des New Deal bilden konnte, wurde zunehmend ausgedünnt, bis die Einkommensunterschiede wieder so groß waren wie in den 1920er Jahren, als wenige Superreiche einen Großteil des Wohlstands kontrollierten.13) Dadurch wuchs die Bedrohung der breiten Bevölkerung von sozialem Abstieg weiter, was wiederum Konkurrenzdenken, Intoleranz und rassistische Ressentiments verschärfte. Unter „Weißen“ setzte sich verstärkt die Meinung durch, „die Vereinigten Staaten seien nicht mehr rassistisch und nun solle endlich Schluss sein mit der Debatte um die gesellschaftlichen Auswirkungen des Rassismus. Eine wachsende Zahl von Weißen glaubte, African Americans erhielten eine unverdient privilegierte Behandlung.14) Eine Meinungsumfrage ergab, dass zwei Drittel der weißen Amerikaner davon ausging, dass arme Schwarze für ihr Elend selbst verantwortlich seien. Obwohl mehr Amerikaner als je zuvor in ethnisch integrierten Nachbarschaften wohnten, hatten sich rassistische Stereotype nicht nur gehalten, sondern sogar verstärkt: Schwarze seien eher kriminell, hätten weniger Ehrgeiz und seien nicht so intelligent wie Weiße.“15)
Diese negative, von Politikern geschürte Einstellung16) einer Mehrheit von Wählern wurde für einen politischen Kurswechsel genutzt: Der Staat zog sich aus aktiver Sozialpolitik zurück17); die Bemühungen um eine Verbesserung der Startchancen von Armen, insbesondere der vielen Afro-Amerikaner in den Armenvierteln, wurden weitgehend aufgegeben; bestehende Errungenschaften zum Ausgleich der Diskriminierung wurden verschlechtert18). Die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre hatte zwar die Grundlage für die Entstehung einer afro-amerikanischen Mittelschicht geschaffen und einige Afro-Amerikaner gelangten mittlerweile in Positionen, die in früheren Zeiten für sie unerreichbar waren. Zugleich blieb jedoch eine „riesige schwarze Unterschicht“19) zurück. Bereits in den 1970er Jahren waren „so viele schwarze Familien arbeitslos und auf Unterstützung angewiesen, dass es wahrscheinlich schien, dass in Amerika eine ganze Generation von Schwarzen aufwuchs, die niemals durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen würden.“20) In den 1980er Jahren nahm die Arbeitslosigkeit unter den Afro-Amerikanern noch „erschreckend schnell“21) zu. Für junge Afro-Amerikaner zwischen 16 und 19 Jahren stieg sie erstmals auf über 50 %.22) Die Folge war „eine immer gravierendere wirtschaftliche Verelendung und immer größere soziale Probleme in den Armenvierteln der Schwarzen: chronische Arbeitslosigkeit, zügellose Gewalt, Drogenabhängigkeit, HIV-Infektion und Aids, sprunghaft steigende Zahlen für Morde an jungen Schwarzen, hohe Raten unehelicher Kinder und ein öffentliches Schulsystem, das all diesen Problemen nicht gewachsen ist. Es ist wenig überraschend, dass die herrschenden Gefühle vieler Bewohner dieser Viertel gegenüber Mittel- und Oberklassen-Amerikanern Entfremdung und Feindseligkeit waren. Ausdruck dieser Stimmung war das Entstehen einer Art aggressiv-expliziter Kultur (in-your-face-culture) seit 1974, die ein tiefgreifendes Gefühl der Entfremdung wiedergab. Die Rap-Musik mit ihren bunten, lästerlichen Sängern, und die daraus hervorgehende Hip-Hop-Kultur waren die sichtbarsten und umstrittensten Ausdrucksformen dieser Entfremdung.“23)
Welchem Elend und welcher Gewalt Kinder in den betroffenen Armenvierteln ausgesetzt sind, macht ein 1991 erschienener, berührender Tatsachenbericht in Buchform über das Leben zweier Brüder deutlich.24) Auf der anderen Seite stieg die Zahl der Millionäre in den USA zwischen 1980 und 198825) von 0,57 Millionen auf 1,3 Millionen und die Zahl der Milliardäre von einer Handvoll auf mindestens 52.26)
Die deutsche Buchautorin Ulrike Heider bot einen anschaulichen Überblick über die Situation der afro-amerikanischen Minderheit und das Verhältnis zwischen „Schwarz und Weiß“ im Jahre 1996, unter anderem in folgenden Ausschnitten ihres Berichtes:
„Statistiken über das Verhältnis zwischen schwarzen und weißen Amerikanern bestätigen, was ich auf der Straße sah: Es gibt nur ganz wenige schwarze Rechtsanwälte, Ärzte, Professoren und Richter, dafür sehr viele Krankenschwestern, Müllmänner, Straßenkehrer, Hotelportiers, Liftboys, Putzfrauen und Dienstmädchen. Ein Großteil der Obdachlosen in den Großstädten ist schwarz. 40 % der Afroamerikaner leben in Armut, bei den Kindern sind es sogar fast 60 %. Die Arbeitslosigkeit bei den schwarzen Amerikanern ist doppelt so hoch wie bei den weißen. In den Gefängnissen gibt es mehr schwarze Männer als auf den Colleges und Universitäten. Über 40 % der amerikanischen Strafgefangenen sind schwarz [obwohl Afro-Amerikaner nur 13 % der Gesamtbevölkerung bilden] und die Todesstrafe wird fast nur an schwarzen Männern vollstreckt. Ein Fünftel aller schwarzen Männer zwischen 18 und 29 Jahren sitzt Gefängnisstrafen ab, befindet sich in Untersuchungshaft oder hat Bewährungsstrafen.“27)
„Klaus in Baltimore blieb lange Zeit der einzige ‚niggerlover’, den ich in den USA kannte. Nicht einmal Leute, die mit Schwarzen befreundet waren, hatte ich kennen gelernt. […] Ich sah Afroamerikaner im Fernsehen, fuhr mit ihnen in der Subway, gab schwarzen Obdachlosen ein paar Cents, wurde auf der Post von schwarzen Beamten bedient und beim Arzt von einer schwarzen Krankenschwester empfangen. Auf den Partys und Kulturveranstaltungen aber, die ich besuchte, war das Publikum fast ausschließlich weiß. Gezieltes Herumfragen zeigte, dass es Zeiten gab, zu denen – zumindest in intellektuellen Kreisen und im Hippiemilieu – Schwarze und Weiße aneinander interessiert waren, sich gegenseitig einluden, zu Liebespaaren wurden und oft sogar heirateten. Es war von den 1960er Jahren die Rede, dem goldenen Zeitalter der flower power, der freien Liebe, der Friedensbewegung und der schwarz-weißen Bürgerrechtsbewegung.“28)
„Je länger ich in den USA lebte, desto deutlicher bekam ich die Spannung zwischen schwarzen und weißen Amerikanern zu spüren, die das restaurative Klima der Reagan-Ära provoziert und verstärkt hat. Das Ende der wohlfahrtsstaatlichen Reformen, die Zerstörung der Gewerkschaften, eine sozialdarwinistische Arbeits- und Wohnungspolitik, die damit einhergehende abermalige Segregation und die bis weit in progressive Kreise hineinreichende kaltschnäuzige Aufkündigung sozialer Verantwortlichkeit blieben nicht folgenlos. Viele Afroamerikaner distanzieren sich seither von ihren weißen Freunden, die Suche nach rassischer Identität prägt Talkshows und Podiumsdiskussionen und der Einfluss weißenhasserischer Gruppen wächst unaufhaltsam. Progressive schwarze Intellektuelle tendieren mehr und mehr zum Separatismus.“29)
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