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Der einzige „stilbildende“ europäische Jazz-Musiker, der auch in den USA anerkannt wurde,1) war lange Zeit der Gitarrist Django Reinhardt und er dürfte bis heute der bedeutendste Jazz-Musiker Europas geblieben sein2). Allerdings war Reinhardt Zigeuner (Sinto) und „im Grunde genommen kein Europäer, sondern in all seinen Verhaltensweisen und seiner Mentalität zutiefst verwurzelt in der Kultur der Zigeuner“3). Er holte sich „Anregungen von den schwarzen Musikern und baute sie in die traditionelle Zigeuner-Musik ein, mit der er aufgewachsen war. Daraus entwickelte er seinen eigenen, unverwechselbaren Stil“4). Sein Quintett hatte „einen deutlich europäischen Einschlag“5), unter anderem eine „merkwürdige rhythmische Steifheit“ der Begleitung6) und der Gitarrist Barney Kessel bezeichnete Reinhardt zwar als „frühesten jazzorientierten Solisten“ auf der Gitarre, fügte jedoch hinzu: „Er spielte nicht, was ich Jazz nennen würde, obwohl ich meine, dass er ein Meister der Improvisation war. Kein Improvisator im Jazz-Rahmen, sondern im Rahmen seines eigenen Zigeuner-Hintergrundes.“7) Wenige Jahre später „definierte“ im Jazz-Bereich das „junge Genie Charlie Christian […] die Rolle der Gitarre für die kommende Generation neu“.8) Reinhardt blieb vor allem das große Vorbild für den auch nach ihm weitergeführten „Zigeuner-Jazz“. – Bei Reinhardt zeigte sich somit bereits die Problematik, dass eine Eigenständigkeit gegenüber der Jazz-Tradition zwangsläufig den Jazz-Charakter in Frage stellt.
Der Übergangsbereich zwischen Jazz, Pop- und „klassischer“ Musik war schon immer breit und auch in Europa wird seit langem „Jazz“ produziert, der von der Jazz-Tradition weit entfernt ist. Ende der 1950er Jahre begann zum Beispiel der französische Pianist Jacques Loussier, mit seinem Trio Stücke von Johann-Sebastian Bach zu „verjazzen“ (Play Bach). Er war damit außerordentlich erfolgreich und es wurde ihm im Jahr 2010 von zwei deutschen Jazz-Zeitschriften ein Preis verliehen, mit dem jährlich ein Musiker ausgezeichnet werden soll, der durch sein Lebenswerk „dem Jazz neue Impulse gegeben und seinen Stellenwert gefördert“ hat9). Loussier benötigte für seine Form von „Jazz“ mit europäischer Ästhetik keine „Emanzipation“, wie sie Ende der 1960er Jahren von einigen Musikern mit so genanntem „Kaputt-Spielen“ demonstriert wurde.
Anspruchsvoller als Loussiers Pop-Jazz war die Musik des französischen Pianisten Martial Solal, der bereits in den 1950er Jahren in einem „einzigartigen“10), von europäischer Konzertmusik geprägten Stil spielte und für eine der „vielschichtigsten Musikerkarrieren der europäischen Jazzgeschichte“11) bekannt wurde. Er war unter anderem vom „weißen“ amerikanischen Pianisten Lennie Tristano beeinflusst, der in den 1940er Jahren mit eingehender Kenntnis der europäischen Konzertmusik und der Jazz-Tradition eine eigene, von vielen als „weißes“ Pendent empfundene Spielart des Jazz entwickelte. Ein stärker mit europäischen „Wurzeln“ verbundener Weg war also auch in Amerika möglich und es brauchte dazu keine europäische Abstammung, wie das Beispiel des afro-amerikanischen Pianisten John Lewis (Leiter des Modern Jazz Quartet) zeigt. Miles Davis verarbeitete in seinem Album Sketches of Spain spanische Musik im Jazz-Kontext, lange bevor Spanier selbst begannen, ihre Musik mit Jazz zu verbinden, und seine Ergebnisse sind – aus der Jazz-Perspektive betrachtet – überzeugender als die europäischen.
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